Ich beginne mit der Überzeugung, die wir alle teilen und die oft von Papst Franziskus wiederholt wird, dass die Katholisch-Charismatischen Erneuerung (CCR) ein „Strom der Gnade für die ganze Kirche“ ist. Wenn die Katholisch-Charismatischen Erneuerung ein Strom der Gnade für die ganze Kirche ist, haben wir die Pflicht, uns und der Kirche zu erklären, woraus dieser Strom der Gnade besteht und warum er für die ganze Kirche bestimmt und notwendig ist. Kurz gesagt, wir müssen erklären, wer wir sind und was wir anbieten – oder besser, was Gott der Kirche durch diesen Strom der Gnade anbietet.
Bis jetzt waren oder konnten wir nicht imstande sein, klar zu sagen, was die Katholisch-Charismatischen Erneuerung ist. Es ist tatsächlich notwendig, eine Lebensform zu praktizieren, bevor man sie definieren kann. Das war in der Vergangenheit immer so, wenn neue Formen christlichen Lebens auftauchten. Es ist bedauerlich, wenn Bewegungen und religiöse Orden beginnen, viele Regeln aufzustellen und eine detaillierte Konstitution ein Protokoll vorgibt, dem zu folgen ist. Das Leben, das fortschreitet, verlangt besondere Eigenschaften und hat seine eigenen Gesetze, wie ein Fluss, der durch die Bewegung sein eigenes Bett gräbt.
Wir müssen einräumen, dass wir der Kirche bis jetzt Ideen und Darstellungen der Charismatischen Erneuerung gegeben haben, die unterschiedlich und manchmal auch widersprüchlich gewesen sind. Wir müssen nur kurze Anfragen an Leute richten, die außerhalb unserer Kreise leben, um die derzeitige Verwirrung in Bezug auf die Identität der Charismatischen Erneuerung zu bemerken.
Für manche Menschen ist sie eine Bewegung von „Enthusiasten“, nicht anders als die „enthusiastischen und erleuchteten“ Bewegungen in der Vergangenheit, die Halleluja-Christen mit ihren erhobenen Händen, die in einer unverständlichen Sprache beten und singen: kurz, ein emotionales und oberflächliches Phänomen. Ich kann das in voller Gewissheit über diese Dinge sagen, weil ich eine ziemlich lange Zeit unter denen war, die so dachten. Für einige Leute wird die Bewegung mit Menschen identifiziert, die Heilungsgebete oder Exorzismen praktizieren; für wiederum andere ist es eine protestantische oder pfingstliche „Infiltration“ in die Katholische Kirche. Bestenfalls wird die Charismatische Erneuerung als Bewegung gesehen, auf deren Mitglieder man sich verlassen kann, die viele Dinge in der Pfarre tun, wobei es aber am besten ist, sich nicht zu sehr involvieren zu lassen. Wie jemand einmal sagte: Die Menschen mögen die Früchte der Erneuerung, aber nicht den Baum.
Nach fünfzig Jahren des Bestehens und der Erfahrung und zum Anlass der Einführung der neuen Dienstorganisation CHARIS ist vielleicht der Moment gekommen, eine Neuinterpretation dieser Bewegung zu versuchen und sie zu definieren, auch wenn keine Definition endgültig sein kann, weil ihr Weg keineswegs zu Ende ist.
Ich glaube, dass das Wesen dieses Stroms der Gnade glücklicherweise in seinem Namen „Charismatische Erneuerung“ enthalten ist, vorausgesetzt, man versteht die wahre Bedeutung dieser beiden Worte. Ich beabsichtige, den ersten Teil meiner Ansprache dem Hauptwort „Erneuerung“ und den zweiten Teil dem Eigenschaftswort „charismatisch“ zu widmen.
TEIL 1: „ERNEUERUNG“
Es ist nötig, einige einleitende Bemerkungen für uns zu darzulegen, um die Beziehung zwischen dem Hauptwort „Erneuerung“ und dem Eigenschaftswort „charismatisch“ zu verstehen und was jedes der beiden repräsentiert.
In der Bibel sehen wir deutlich zwei Arten, auf die der Geist Gottes handelt. Da ist die erste Weise, die charismatisch genannt wird. Sie kommt vor, wenn der Geist Gottes unter bestimmten Umständen auf einige Menschen herabkommt und ihnen Gaben und Fähigkeiten über das menschliche Leistungsvermögen hinaus verleiht, um die Aufgaben, die Gott von ihnen erwartet, zu vollbringen. [1] Das Charakteristische an dieser Weise des Handelns des Geistes Gottes ist, dass alles einer Person gegeben wird, aber nicht um dieser Person willen – also um sie oder ihn für Gott wohlgefällig zu machen – sondern für das Wohl der Gemeinschaft, für den Dienst. Einige der Personen, die im Alten Testament diese Gaben empfingen, führten am Ende ein Leben, das alles andere war, als dem Willen Gottes zu entsprechen.
Erst später, eigentlich nach dem Exil, beginnt die Bibel über eine andere Art der Wirkungsweise des Geistes Gottes zu sprechen, eine Weise, die später die heiligende Wirkung des Geistes genannt wird (siehe 2 Thess 2,13). Der Geist wird in Psalm 51 zum ersten Mal „heilig“ genannt. „Deinen heiligen Geist nimm nicht von mir!“ (Ps 51,13). Das deutlichste Zeugnis für diese Wirkungsweise ist die Prophetie in Ez 36,26-27:
„Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich gebe meinen Geist in euer Inneres und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Rechtsentscheide achtet und sie erfüllt.“
Die Neuheit an dieser Weise des Handelns des Geistes ist, dass er auf Menschen herabkommt und dort bleibt, sie von innen her verwandelt, ihnen ein neues Herz gibt und eine neue Fähigkeit, die Gebote zu halten. Später wird die Theologie die erste Weise der Wirkung des Handelns des Geistes „gratia gratis data“, freies Geschenk, nennen und die zweite „gratia gratum faciens“, Gnade, die jemand Gott wohlgefällig macht.
Wenn wir vom Alten zum Neuen Testament übergehen, wird diese zweifache Art des Handelns des Geistes noch deutlicher. Wir müssen nur Kapitel 12 des ersten Briefes an die Korinther lesen, das von allen Arten von Charismen spricht, und dann zum nächsten Kapitel, Kapitel 13, weitergehen, das von einer einzigartigen Gabe spricht, der Liebe, für alle gleich wesentlich und notwendig. Diese Liebe ist „Gottes Liebe. . . ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“ (Röm 5,5), die Liebe, wie sie Thomas von Aquin definiert, „mit der Gott uns liebt und die uns fähig macht, ihn und die Brüder zu lieben.“ [2]
Die Beziehung zwischen dem heiligenden Wirkens des Geistes und seinem charismatischen Handeln wird von Paulus genauso gesehen wie die Beziehung zwischen Sein und Handeln und die Beziehung zwischen Einheit und Verschiedenheit in der Kirche. Das heiligende Wirken betrifft das christliche Sein, die Charismen betreffen das Tun, da sie für den Dienst gegeben werden (siehe 1 Kor 12,7; 1 Petr 4,10); das erste begründet die Einheit der Kirche, während das zweite die Vielfalt ihrer Funktionen herstellt. Wir können an dieser Stelle Epheser 4,4-13 lesen. Hier erklärt der Apostel zuerst, was das Sein eines Christen und die Einheit aller Gläubigen ausmacht: ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaube; er setzt fort und sagt: „Aber jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph 4,7); Apostel, Evangelisten, Lehrer, etc.
Der Apostel bleibt bei der Hervorhebung der beiden Arten des Wirkens des Geistes nicht stehen, sondern bekräftigt die absolute Priorität des heiligenden Wirkens über das charismatische Handeln. Handeln ist abhängig vom Sein (agere sequitur esse), nicht umgekehrt. Paulus betrachtet den Großteil der Charismen nochmals – Beten in Zungen, die Gabe der Prophetie, Einsicht in alle Geheimnisse, alles den Armen zu geben – und folgert, dass ein Charisma ohne Liebe für den, der es ausübt, wertlos ist, auch wenn es den Menschen, die dadurch etwas empfangen, hilft.
Es ist wahr, dass ein Charisma nicht wegen der oder im Hinblick auf die Heiligkeit einer Person gegeben wird, aber es ist auch wahr, dass ein Charisma nicht gesund bleibt und sogar verderben kann und Schaden anrichtet, wenn es nicht in persönlicher Heiligkeit gegründet ist. Den Vorrang des heiligenden Wirkens des Geistes über sein charismatischen Handeln wieder ins Gedächtnis zu rufen, das ist der besondere Beitrag, den die Katholisch-Charismatischen Erneuerung den evangelikalen und pfingstlichen Bewegungen bringen kann, die selber unter ihren Wurzeln die sogenannte „Heiligkeitsbewegung“ hatten.
Alles, was ich über das erneuernde und heiligende Handeln des Geistes gesagt habe, ist im Hauptwort „Erneuerung“ eingeschlossen. Warum genau dieses Wort? Vom Anfang bis zum Ende begleitet die Idee der Neuheit die Offenbarungen des heiligenden Wirkens des Geistes. Ezechiel hat schon vorausblickend über einen „neuen Geist“ gesprochen. Johannes spricht davon, „aus dem Wasser und dem Geist geboren“ (Joh 3,5) zu werden. Aber darüber hinaus ist der heilige Paulus derjenige, der in dieser „Neuheit“ das sieht, was den ganzen „neuen Bund“ (2 Kor 3,6) charakterisiert. Er definiert den Glaubenden als einen „neuen Menschen“ (Eph 2,15; 4,24) und die Taufe als „das Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit 3,5).
Der Punkt, den man sofort klarstellen muss, ist, dass dieses neue Leben das Leben ist, das Christus gebracht hat. Er ist derjenige, der uns in der Auferstehung von den Toten die Möglichkeit gegeben hat, dank unserer Taufe „in der Wirklichkeit des neuen Lebens zu wandeln“ (siehe Röm 6,4). Es ist daher ein Geschenk, bevor es eine Pflicht ist, „etwas wird getan“ bevor „etwas zu tun“ ist. An dieser Stelle brauchen wir eine kopernikanische Wende im allgemeinen Denken gläubiger Katholiken, (keine Wende in der offiziellen Lehre der Kirche!), und das ist einer der wichtigsten Beiträge, den die Charismatische Erneuerung ins Leben der Kirche einbringen kann – und sie hat es in der Vergangenheit teilweise schon getan. Jahrhunderte lang lag die Betonung so sehr auf der Moral und der Pflicht, dass sie die Beziehung verdrehte und die Pflicht vor die Gabe stellte – und damit die Gnade zum Ergebnis anstelle der Ursache guter Werke machte.
Die Charismatische Erneuerung, konkret die Taufe im Heiligen Geist, brachte in mir diese kopernikanische Wende mit sich, über die ich gerade sprach, und deshalb bin ich tief davon überzeugt, dass sie diese Wende in der ganzen Kirche mit sich bringen kann. Und das ist die Wende, von der die Möglichkeit der Re-Evangelisierung der nachchristlichen Welt abhängt. Glaube blüht im Zusammenhang mit dem Kerygma, nicht im Zusammenhang mit didaché, das heißt, nicht im Zusammenhang mit Theologie, Apologetik und Moral. Diese Dinge sind wichtig für die „Bildung“ des Glaubens und bringen ihn zur Vollkommenheit der Nächstenliebe, aber sie sind nicht imstande, Glauben zu wecken. Das Christentum beginnt, anders als jede andere Religion, nicht damit, den Menschen zu sagen, was sie tun sollen, um sich zu retten; es beginnt damit, ihnen zu sagen, was Gott in Christus getan hat, um sie zu retten. Es ist die Religion der Gnade.
Es besteht nicht die Gefahr, dass jemand auf diesem Weg in „Quietismus“ fällt und die Pflicht vergisst, Tugenden zu erwerben. Durch die Schrift und die Erfahrung führt kein Weg daran vorbei: Das sicherste Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes sind nicht die Charismen, sondern das ist die „Frucht des Geistes“. Anstatt wachsam gegenüber anderen Gefahren zu sein, muss die Charismatische Erneuerung auf das achten, wofür der heilige Paulus die Galater tadelte: „Seid ihr so unvernünftig? Im Geist habt ihr angefangen und jetzt wollt ihr im Fleisch enden?“ (Gal 3,3) – die Rückkehr in den alten Legalismus und Moralismus, der die exakte Antithese dessen ist, worauf sich „Erneuerung“ bezieht. Es besteht natürlich auch die umgekehrte Gefahr: „…nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch“ (Gal 5,13), aber das ist viel leichter zu erkennen.
Woraus das Leben im Geist besteht
Es ist Zeit, konkreter zu werden und zu sehen, woraus das neue Leben im Geist besteht, wie es sich manifestiert und damit zeigt, was echte „Erneuerung“ ist. Wir beziehen uns auf den heiligen Paulus, genauer gesagt auf seinen Brief an die Römer, weil er dort ihre konstitutiven Elemente systematischer darlegt.
Ein Leben nach dem Gesetz des Geistes
Das neue Leben ist zu allererst ein Leben „nach dem Gesetz des Geistes“.
„Jetzt also gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Röm 8, 1-2).
Wir können nicht verstehen, was die Aussage „Gesetz des Geistes“ bedeutet, wenn wir nicht mit dem Ereignis von Pfingsten beginnen. Im Alten Testament gab es zwei grundlegende Interpretationen für das Pfingstfest. Am Beginn war Pfingsten das Fest der Ernte (das Wochenfest – siehe Num 28,26ff), als die Menschen Gott ihre ersten Früchte darbrachten (siehe Ex 23,16; Dtn 16,9ff). Aber später und sicherlich in der Zeit Jesu wurde das Fest durch eine neue Bedeutung bereichert. Es war das Fest, das den Empfang des Gesetzes am Berg Sinai und den Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hatte, in Erinnerung rief – mit einem Wort, das Fest, das der Ereignisse gedachte, die in Exodus 19 – 20 beschrieben sind. Ein Text aus der derzeitigen hebräischen Liturgie für Pfingsten (Shavuot) sagt: „Dieser Tag des Wochenfestes ist die Zeit des Empfangs unserer Thora.“
Es scheint, dass der heilige Lukas die Herabkunft des Heiligen Geistes bewusst mit den Zeichen beschrieb, die die Theophanie am Berg Sinai charakterisierten; er verwendet Bilder, die tatsächlich Erdbeben und Feuer in Erinnerung rufen. Die Liturgie der Kirche bestätigt diese Interpretation, da sie Exodus 19 in die Texte der Vigil von Pfingsten aufnimmt.
Was sagt uns diese parallele Annäherung über unser Pfingsten? Mit anderen Worten, was bedeutet es, dass der Heilige Geist genau an diesem Tag auf die Kirche herabkam, an dem Israel an den Empfang des Gesetzes und an den Bund dachte? Der heilige Augustinus stellte bereits diese Frage und gab folgende Antwort: Fünfzig Tage nach dem Opfer des Lammes in Ägypten schrieb der Finger Gottes am Berg Sinai die Gesetze Gottes auf Steintafeln, und hier, fünfzig Tage nach dem Opfer Christi, des wahren Lammes Gottes, schrieb der Finger Gottes, der Heilige Geist, sein Gesetz erneut nieder. Aber dieses Mal war es nicht auf Steintafeln, sondern auf Tafeln aus Fleisch der Herzen der Menschen. [3]
Diese Interpretation ist selber auf die Zusicherung des Apostels Paulus gegründet, der die Gemeinschaft des neuen Bundes definiert als „Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch“ (2 Kor 3,3). Die Prophezeiungen von Jeremia und Ezechiel über den neuen Bund werden plötzlich erhellt. „Sondern so wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des HERRN: Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben“ (Jer 31,33). Es steht nicht länger auf Tafeln aus Stein, sondern in den Herzen; es ist nicht länger ein äußeres, sondern ein inneres Gesetz.
Wie wirkt dieses neue Gesetz, das der Geist ist, konkret, und in welchem Sinn kann es ein „Gesetz“ genannt werden? Es wirkt durch Liebe! Das neue Gesetz ist das, was Jesus „ein neues Gebot“ (Joh 13,34) nennt. Der Geist hat das neue Gesetz in unsere Herzen geschrieben und sie mit Liebe erfüllt: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Diese Liebe, wie der heilige Thomas uns erklärte, ist die Liebe, mit der Gott uns liebt und gleichzeitig dazu fähig macht, ihn in Erwiderung zu lieben und unsere Nächsten zu lieben. Es ist eine neue Fähigkeit zu lieben.
Es gibt zwei Arten, auf die eine Person veranlasst werden kann, etwas zu tun oder nicht zu tun, eine bestimmte Sache: durch Zwang oder durch Anziehung. Das äußere Gesetz bewegt eine Person auf die erste Art, durch Zwang und die Angst vor Bestrafung. Liebe bewegt auf die zweite Weise, durch Anziehung. Die Menschen werden wirklich durch das, was sie lieben, angezogen, ohne dass sie einem äußeren Zwang unterworfen werden müssen. Das christliche Leben wird aus der Anziehung heraus gelebt, nicht aus Zwang, aus Liebe, nicht aus Angst.
Ein Leben der Söhne und Töchter Gottes
Zweitens ist das neue Leben im Geist das Leben der Söhne und Töchter Gottes. Der Apostel fährt fort und sagt:
„Denn die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes. Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selber bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind (Röm 8, 14-16).
Das ist ein zentraler Gedanke in der Botschaft Jesu und im ganzen Neuen Testament. Dank der Taufe, die uns in Christus eingepflanzt hat, wurden wir Kinder im Sohn. Was also kann die Charismatische Erneuerung Neues dazu beitragen? Etwas sehr Wichtiges, die Entdeckung und das existenzielle Bewusstsein für die Vaterschaft Gottes, die mehr als eine Person im Moment der Taufe im Heiligen Geist in Tränen ausbrechen ließ. Von Rechts wegen sind wir durch die Taufe seine Kinder, aber wir werden seine Kinder durch die Erfahrung des Wirkens des Heiligen Geistes, das sich in unserem Leben ereignet.
Ein kindliches Empfinden wird geboren. Von einem Meister wird Gott zu einem Vater. Das ist der Moment, in dem ein Mensch zum ersten Mal mit ganzem Herzen ausruft: „Abba, mein Vater!“ Das ist einer der häufigsten Effekte der Taufe im Heiligen Geist. Ich erinnere mich an eine ältere Frau aus Mailand, die nach dem Empfang der Taufe im Heiligen Geist umher ging und zu jedem in ihrer Gruppe sagte: „Ich fühle mich wie ein Baby, ich fühle mich wie ein Baby! Ich habe entdeckt, dass Gott mein Papa ist!“ Die Vaterschaft Gottes zu erfahren, bedeutet seine unendliche Liebe und Barmherzigkeit zu erfahren.
Ein Leben unter der Herrschaft Christi
Schließlich ist das neue Leben ein Leben unter der Herrschaft Christi. Im Römerbrief schreibt der Apostel: „Denn wenn du mit deinem Mund bekennst: Herr ist Jesus – und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden (Röm 10,9).
Und bald darauf sagt er im selben Brief: „Denn keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende (Röm 14,7-9).
Diese besondere Erkenntnis Christi ist das Werk des Heiligen Geistes: „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12,3). Das offensichtlichste Geschenk, das ich beim Ereignis meiner Taufe im Heiligen Geist erhalten habe, war die Entdeckung der Herrschaft Jesu. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich ein Wissenschaftler der Christologie; ich lehrte in Kursen und schrieb Bücher über die klassische christologische Glaubenslehre. Der Geist bekehrte mich von der Christologie zu Christus. Welche Gefühle hatte ich, als ich im Juli 1977 im Stadion von Kansas City 40.000 Gläubige aus verschiedenen Denominationen singen hörte: „Er ist Herr, er ist auferstanden und er ist Herr. Jedes Knie soll sich beugen und jede Zunge bekennen, dass Jesus Christ ist Herr.“ Für mich, der noch ein äußerer Betrachter der Charismatischen Erneuerung war, weckte dieses Lied kosmische Resonanzen, weil es ins Spiel brachte, was im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ist. Warum sollen wir, bei einem Anlass wie diesem, diese Erfahrung nicht wiederholen und die Herrschaft Christi zusammen in einem Lied verkünden. Alle, die es kennen, singen es auf Englisch….. „He is Lord,…“
Was ist das Besondere an dieser Proklamation Jesu als Herrn, das sie so charakteristisch und ausschlaggebend macht? Es ist Folgendes: Wenn wir ihn so verkünden, ist es nicht nur ein Bekenntnis des Glaubens, sondern jeder trifft auch eine persönliche Entscheidung. Wer das verkündet, entscheidet über die Bedeutung seines oder ihres Lebens. Es ist so, als würden wir sagen: „Du bist mein Herr; ich gebe mich dir hin und ich erkenne dich frei als meinen Retter, mein Haupt, meinen Meister an, als den einen, der jedes Recht über mich hat. Ich übergebe dir voller Freude die Zügel meines Lebens.“
Diese strahlende Wiederentdeckung Jesu als Herrn ist vielleicht die wundervollste Gnade in unserer Zeit, die Gott seiner Kirche durch die Charismatische Erneuerung geschenkt hat. Am Beginn war die Proklamation Jesu als Herrn (Kyrios) für die Evangelisation das, was die Pflugschar für den Pflug ist, die Klinge, die zuerst den Boden aufbricht und dem Pflug erlaubt, eine Furche in die Erde zu ziehen. Als wir aus dem jüdischen Einflussbereich in den hellenistischen gelangten, trat unglücklicherweise eine Veränderung im Hinblick auf dieses Wort auf. In der jüdischen Welt war der Titel Adonai an sich genug, um die Göttlichkeit Jesu auszurufen. Und es ist tatsächlich dieser Titel, mit dem Petrus am Tag von Pfingsten Jesus Christus der Welt verkündet: „Mit Gewissheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Christus gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“ (Apg 2,36).
Als man begann, den Heiden zu predigen, war dieser Titel jedoch nicht länger ausreichend. Angefangen von den Römern nannten sich viele selbst „Herr“. Der Apostel bemerkt nüchtern: „Und selbst wenn es viele „Götter“ und „Herren“ gibt, für uns ist einer der Herr: Jesus Christus“ (siehe 1 Kor 8,5-6). Bereits im dritten Jahrhundert wurde der Titel „Herr“ nicht mehr in seinem kerygmatischen Sinn verstanden. Er wurde für den passenden Titel gehalten, den jeder verwendete, der noch auf der Stufe eines „Dieners“ war oder Angst hatte, und er war dem Titel des Meisters unterlegen, der von einem „Jünger“ und Freund verwendet und als angemessen betrachtet wurde. [4] Die Menschen sprachen von Jesus natürlich weiterhin als „Herrn“, aber er wurde zu einem Titel wie jeder andere und noch viel öfter war er ein Teil des ganzen Namens Christi: „Unser Herr Jesus Christus“. Aber es ist eine Sache, zu sagen: „Unser Herr Jesus Christus“, und eine andere, zu sagen: „Jesus Christus ist unser Herr!“ (mit einem Rufzeichen!)
Was ist in all dem der Qualitätssprung, den der Heilige Geist uns in unserem Verständnis von Christus machen lässt? Es ist die Tatsache, dass die Proklamation Jesu als Herrn die Tür ist, die zur Erkenntnis des auferstandenen und lebendigen Christus führt! Es geht nicht um die Gestalt Christi, sondern um die Person Christi. Er ist nicht länger nur eine Ansammlung von Thesen und Dogmen (mit ihren dazu passenden Häresien), nicht länger nur ein Objekt der Anbetung und der Erinnerung, sondern eine lebendige Wirklichkeit im Geist. Der Unterschied zwischen diesem lebendigen Jesus und dem Jesus der Bücher und akademischen Diskussionen über ihn ist der Unterschied zwischen dem echten Himmel und einem Himmel, der auf Papier gezeichnet ist. Wenn die neue Evangelisation nicht nur ein Wunschdenken bleiben soll, müssen wir die Pflugschar wieder vor den Pflug stellen, das Kerygma vor die Paränese .
Diese von allen geteilte Erfahrung der Herrschaft Jesu ruft auch am meisten Einheit unter den Christen hervor, so wie wir es auch hier unter uns erleben. Eine der höchsten Prioritäten ist nach den Anweisungen des Heiligen Vaters gerade die Förderung dieser Einheit unter allen Gläubigen in Christus, durch jedes mögliche Mittel, in wechselseitigem Respekt für die jeweilige Identität.
Ein Strom der Gnade für die ganze Kirche
Ich glaube, an diesem Punkt ist klar, warum wir sagen, dass die Charismatische Erneuerung ein Strom der Gnade für die ganze Kirche ist. Alles, was das Wort Gottes uns über das neue Leben in Christus offenbart hat – ein Leben nach dem Gesetz des Geistes, ein Leben als Söhne und Töchter Gottes und ein Leben unter der Herrschaft Christi – ist nichts anderes als die Substanz des christlichen Lebens und der Heiligkeit. Es ist unser Leben aus der Taufgnade, die in Fülle aktualisiert wird, das bedeutet, nicht nur in Gedanken und im Glauben, sondern in einem Leben, das gelebt und gezeigt wird, und nicht nur für einige privilegierte Seelen, sondern für alle Heiligen Gottes. Für Millionen Gläubige in verschiedenen christlichen Kirchen ist die Taufe im Heiligen Geist die Tür zu solchem Glanz des christlichen Lebens geworden.
Einer der Aussprüche, der Papst Franziskus viel bedeutet, ist, dass „Wirklichkeiten größer sind als Ideen“, [5] und deshalb ist es größer, das christliche Leben zu leben, als darüber nachzudenken. Ich glaube, dass die Charismatische Erneuerung eine große Hilfe sein kann (und teilweise gewesen ist), um die großen Wahrheiten des Glaubens vom Denken ins Leben und den Heiligen Geist aus den Büchern der Theologie in die Erfahrungen der Gläubigen zu bringen.
Der heilige Johannes XXIII verstand das Zweite Vatikanische Konzil als ein „neues Pfingsten“ für die Kirche. Der Herr antwortete auf dieses Gebet des Papstes über alle Erwartungen hinaus. Aber was bedeutet „ein neues Pfingsten“? Es kann nicht nur in einem neuen Erblühen von Charismen, Diensten, Zeichen und Wundern als Hauch frischer Luft auf dem Gesicht der Kirche bestehen. Diese Dinge sind nur der Widerschein und das Zeichen von etwas viel Tiefgründigerem. Ein neues Pfingsten muss, um wirklich eines zu sein, in der ganzen Tiefe stattfinden, die der Apostel uns zeigt: Es muss das Herz der Braut erneuern, nicht nur ihr Kleid.
Damit die Charismatische Erneuerung der Strom der Gnade ist, den wir beschrieben haben, muss sie selber erneuert werden und die Einführung von CHARIS soll dazu beitragen. Origenes schrieb im dritten Jahrhundert: „Du darfst dir nicht vorstellen, dass die Erneuerung des Lebens, von der es heißt, dass sie einmal gemacht werden muss, genügt. Im Gegenteil, … diese Erneuerung … muss erneuert werden“: „Ipsa novita innovanda est.“ [6] Wir sollten darüber nicht erstaunt sein. Das geschieht bei jedem Vorhaben Gottes von dem Moment an, in dem es in die Hände der Menschen gelegt wird.
Unmittelbar nachdem ich mich der Erneuerung angeschlossen hatte, wurde ich eines Tages im Gebet von bestimmten Gedanken ergriffen. Ich schien die neue Sache, die Gott in der Kirche gerade tat, zu erspüren; ich nahm ein Stück Papier und eine Füllfeder und schrieb einige Gedanken nieder, die mich selber überraschten, weil sie kaum die Frucht meiner Überlegungen waren. Sie sind in meinem Buch The Sober Intoxication of the Spirit, Part II (Die nüchterne Trunkenheit des Geistes, Teil II) enthalten. Aber lasst mich das mit euch noch einmal teilen, weil mir scheint, dass das der Punkt ist, von dem aus wir neu beginnen müssen.
Der Vater will den Sohn Jesus Christus auf der Erde durch ein neues Eingreifen auf neue Weise verherrlichen. Der Heilige Geist ist dazu bestimmt, diese Verherrlichung zu vollbringen, denn es steht geschrieben: „Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen“ (Joh 16,14). Ein christliches Leben ganz Gott geweiht, ohne Gründer, ohne Regel und ohne neue Kongregationen. Der Gründer: Jesus! Die Regel: das Evangelium, ausgelegt durch den Heiligen Geist! Die Kongregation: die Kirche! Sorge dich nicht um das Morgen, versuche nicht, etwas zu machen, das bleiben wird und setze keine anerkannten Organisationen in Gang, die von Nachfolgern aufrecht erhalten werden können . . . Jesus ist ein Gründer, der niemals stirbt, daher besteht kein Bedarf an Nachfolgern. Wir müssen ihn immer neue Dinge tun lassen, auch morgen. Der Heilige Geist wird in der Kirche bleiben, auch morgen. [7]
Anmerkungen zu Teil 1:
[1] Ex 31,3; Ri 14,6; 1 Sam 10,6; Jes 61,1.
[2] Siehe hl. Thomas von Aquin, Kommentar zum Brief an die Römer, 5,1, Nr. 392.
[3] Siehe hl. Augustinus, Über den Geist und den Buchstaben, Kapitel 28 [XVI], Herausg. Philip Schaff (No p.: CreateSpace Publishing, 2015), S. 53; Sermo Mai 158,4 (PLS 2 525).
[4] Origenes, Kommentar zum Evangelium nach Johannes, 1,31 (Pinkerton, OH; Beloved Publishing, 2014) S. 31-32; (Sch 120, S. 158).
[5] Papst Franziskus; Evangelii gaudium, Nr. 231.
[6] Origenes, Kommentar zum Brief an die Römer, 5,13, trans. Thomas P. Scheck, Die Kirchenväter, Band 103 (Washington, DC: The Catholic University of America Press, 2001), S. 359; (PG 14, S. 1042).
[7] Raniero Cantalmessa; Die nüchterne Trunkenheit des Geistes, Teil II (Cincinnati, OH: Servant Books, 2012), S.31.
TEIL 2: „CHARISMATISCH“
Jetzt kommen wir zum zweiten Teil meiner Ansprache, der viel kürzer sein wird, darüber, was das Eigenschaftswort „charismatisch“ zum Namen „Erneuerung“ hinzufügt. Zu allererst ist es wichtig zu sagen, dass „charismatisch“ ein Eigenschaftswort bleiben muss und nie ein Hauptwort sein darf. Mit anderen Worten, wir müssen die Verwendung des Begriffs „charismatisch“ absolut vermeiden, um Menschen zu beschreiben, die Erneuerung erlebt haben. Wenn schon, dann sollten wir die Worte „erneuerte Christen“ verwenden, nicht „Charismatiker“. Die Verwendung dieses Begriffs weckt zu Recht Unmut, denn sie erzeugt Diskriminierung unter den Mitgliedern des Leibes Christi, so als wären einige Leute mit Charismen beschenkt und andere nicht.
Ich möchte hier keine Lehre über Charismen geben, um darüber zu sprechen gibt es viele Gelegenheiten. Meine Absicht ist, zu zeigen, wie die Erneuerung, insofern sie auch charismatisch ist, ein Strom der Gnade für die ganze Kirche ist. Um diese Zusicherung zu verdeutlichen, müssen wir rasch einen Blick in die Geschichte der Charismen in der Kirche werfen.
Die Wiederentdeckung der Charismen durch das Zweite Vatikanische Konzil
Was geschah wirklich mit den Charismen nach ihrem stürmischen Erscheinen am Beginn der Kirche? Die Charismen verschwanden nicht so sehr aus dem Leben der Kirche, wie sie es aus ihrer Theologie taten. Wenn wir die Kirchengeschichte zurück verfolgen und dabei die verschiedenen Aufzählungen der Charismen im Neuen Testament im Gedächtnis behalten, müssen wir daraus schließen, dass – vielleicht mit Ausnahme des „Redens in Zungen“ und der „Auslegung der Zungenrede“ – keines der Charismen je völlig verloren ging. Die Geschichte der Kirche ist voll von charismatischen Evangelisten, Gaben der Weisheit und Einsicht (wir müssen nur an die Kirchenlehrer denken), wunderbaren Heilungen, Menschen begabt mit dem Geist der Prophetie oder der Unterscheidung der Geister, nicht zu vergessen Gaben wie Visionen, Verzückungen, Ekstasen und Erleuchtungen, die auch zu den Charismen zählen.
Nun denn, was ist so neu, dass es uns erlaubt, von einer Wiedererweckung der Charismen in unserer Zeit zu sprechen? Was hat davor gefehlt? Aus ihrer eigentlichen Rolle des Dienstes am Gemeinwohl und der „Organisation der Kirche“, wurden die Charismen zunehmend auf die private und persönliche Ebene eingeschränkt. Sie spielten in der Konstitution der Kirche keine Rolle mehr.
Im Leben der frühen christlichen Gemeinde wurden die Charismen nicht privat ausgeübt; zusammen mit der apostolischen Autorität stellten sie die Funktionen der Gemeinde dar. Apostel und Propheten waren die beiden Kräfte, die zusammen die Gemeinde leiteten. Sehr bald brach das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Aspekten – dem des Amtes und dem der Charismen – zugunsten des Amtes zusammen. Ein maßgebliches Element war das Aufkommen falscher Lehren, besonders der Gnosis. Diese Tatsache kippte zunehmend die Balance in Richtung der Amtsinhaber, der Priester. Eine andere Tatsache war die Krise der prophetischen Bewegung, die sich im zweiten Jahrhundert in Kleinasien durch Montanus ausbreitete und zusätzlich dazu führte, dass eine bestimmte Art gemeinsamer charismatischer Begeisterung diskreditiert wurde.
Alle negativen Konsequenzen für die Charismen entstammen diesen historischen Umständen. Charismen wurden an die Ränder des kirchlichen Lebens verbannt. Es gab noch eine Zeitlang Berichte, dass hier und dort einige Charismen bestehen blieben. Der heilige Irenäus sagt zum Beispiel, es seien „viele Brüder in der Kirche, die prophetische Gaben besitzen, die alle Arten von Sprachen sprechen, die die Geheimnisse der Menschen zu ihrem Wohl aufdecken und die Geheimnisse Gottes erklären.“ [1] Aber das war ein Phänomen im Niedergang. Besonders die Charismen, die als Ort der Ausübung die Anbetung und das Leben in der Gemeinde hatten, verschwanden: die inspirierte Rede und das Sprachengebet, die sogenannten pfingstlichen Charismen. Prophetie wurde auf das kirchliche Lehramt reduziert, um die Offenbarung authentisch und unfehlbar zu interpretieren. (Das war die Definition von Prophetie in den Abhandlungen der Ekklesiologie, die zu meiner Zeit studiert wurden.)
Manche Personen versuchten diese Situation auch theologisch zu rechtfertigen. Nach einer Theorie des hl. Johannes Chysostomos, die bis hin zum Abend des Zweiten Vatikanischen Konzils oft wiederholt wurde, waren bestimmte Charismen in der Kirche für die Entstehungszeit reserviert, seien aber später „erloschen“, weil sie für die allgemeine Ökonomie der Kirche nicht länger notwendig waren. [2]
Eine andere unvermeidliche Konsequenz war die Klerikalisierung der Charismen. Da sie verbunden mit persönlicher Heiligkeit waren, endete es damit, dass sie fast immer den üblichen Repräsentanten dieser Heiligkeit zugeordnet wurden: Priestern, Mönchen und Ordensleuten. Die Charismen wanderten aus der Sphäre der Ekklesiologie in die Sphäre der Hagiographie, das heißt, in das Studium des Lebens der Heiligen. Der Platz der Charismen wurde von den „Sieben Gaben des Heiligen Geistes“ (in Jes 11) eingenommen, die am Beginn und bis hinauf zum Scholastizismus für eine besondere Kategorie der Charismen gehalten wurden, die dem messianischen König verheißen waren und später jenen, die die Aufgabe der pastoralen Führung innehatten.
Das war die Situation, die das Zweite Vatikanische Konzil berichtigen wollte. In einem der wichtigsten Dokumente des Konzils lesen wir diesen gut bekannten Text:
„Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern “teilt den Einzelnen, wie er will” (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: “Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben” (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepasst und nützlich sind.“ [3]
Dieser Text ist keine Randnotiz innerhalb der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums, sondern vielmehr ihre krönende Errungenschaft. Das ist die deutlichste und ausdrücklichste Art zu bestätigen, dass die Kirche neben der hierarchischen und institutionellen Dimension eine pneumatische Dimension hat, und die hierarchische Dimension in Funktion und im Dienst der anderen steht. Es ist nicht der Geist, der im Dienst der Institution steht, sondern die Institution ist diejenige, die im Dienst des Geistes steht. Es ist nicht wahr, wie es der große Ekklesiologe des neunzehnten Jahrhunderts Johannes Adam Mohler polemisch vermerkte, dass „Gott die Hierarchie geschaffen hat und damit mehr als genug für die Erfordernisse der Kirche bis zum Ende der Welt vorgesorgt hat.“ [4]. Jesus vertraute seine Kirche Petrus und den anderen Aposteln an, aber zuvor hat er sie dem Heiligen Geist anvertraut: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. … Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. …“ (siehe Joh 16,4-15).
An diesem Punkt, als mit dem Abschluss des Konzils die Dekrete in einem Buch gesammelt waren, kam die Gefahr der Marginalisierung der Charismen in einer anderen Form wieder zum Vorschein. Aber auf eine, die nicht weniger gefährlich war: der Gefahr, dass der Text ein nettes Dokument bleiben könnte, das Gelehrte nicht müde werden würden zu studieren und Prediger nicht müde werden würden zu zitieren. Der Herr selbst überwand dieses Risiko durch einen Mann, der sie mit eigenen Augen gesehen hatte – den Mann, der diesen Text über die Charismen intensiv herbeigesehnt hatte, damit diese nicht nur in der Theologie, sondern im Leben des Gottesvolkes wiederhergestellt werden konnten. Als Kardinal Suenens 1973 zum ersten Mal über die Katholisch-Charismatische Erneuerung sprechen hörte, die in den Vereinigten Staaten auftauchte, schrieb er ein Buch mit dem Titel Der Heilige Geist: Die Quelle all unserer Hoffnung. Er erzählt Folgendes in seinen Memoiren:
„Ich opferte mich auf, das Buch zu schreiben. Ich dachte, es wäre eine Sache des grundlegendsten Entgegenkommens, dem möglichen Handeln des Heiligen Geistes Aufmerksamkeit zu erweisen, wie überraschend es auch sein möge. Ich war besonders am Austausch über die Erweckung der Charismen interessiert; beim Konzil hatte ich mich für die Sache einer solchen Erweckung eingesetzt.“
Und das schrieb er, als er mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, was in der Kirche vor sich ging:
„Plötzlich schienen der heilige Paulus und die Apostelgeschichte lebendig und ein Teil der Gegenwart zu sein; was in der Vergangenheit authentische Wahrheit war, schien noch einmal vor unseren eigenen Augen zu geschehen. Es ist eine Entdeckung des echten Handelns des Heiligen Geistes, der immer am Werk ist, wie es Jesus selbst versprach. Er hielt und hält sein „Wort“. Es ist noch einmal eine Explosion des Geistes von Pfingsten, ein Jubel, der der Kirche fremd geworden war. [5]
Ich denke, jetzt ist klar, warum ich sagte, dass die Erneuerung auch als charismatische Realität ein Strom der Gnade ist, beabsichtigt und notwendig für die ganze Kirche. Die Kirche selbst ist diejenige, die das im Konzil festgelegt hat. Das Einzige, was bleibt, ist von der Festlegung zur Durchführung zu kommen, vom Dokument zum Leben. Und das ist in völliger Kontinuität mit der Charismatischen Erneuerung in der Vergangenheit der Dienst, zu dem CHARIS berufen ist, ihn der Kirche zu erweisen.
Das ist nicht nur eine Frage der Treue zum Konzil, sondern auch der Treue zur eigentlichen Mission der Kirche. Die Charismen, über die wir im Konzilstext lesen, sind „besonders angepasst und nützlich für die Nöte der Kirche.“ (Vielleicht wäre es präziser, „notwendig“ statt „nützlich“ zu sagen.) Der Glaube wird heute, wie zur Zeit des Paulus und der Apostel, „nicht durch gewandte und kluge Worte, sondern mit dem Erweis von Geist und Kraft“ (siehe 1 Kor 2,4; 1 Thess 1,5) übermittelt. Wenn man in einer Zeit, die „christlich“ geworden war – zumindest offiziell – denken konnte, dass es nicht länger irgendeinen Bedarf an Charismen und Zeichen gab, und Wunder, die am Beginn der Kirche vorkamen, nichts mehr zur Sache täten, so ist das heute nicht mehr der Fall. Wir sind zurück und eher in der Nähe der Zeit der Apostel als in der Zeit des hl. Johannes Chrysostomos. Die Apostel mussten das Evangelium einer vor-christlichen Welt verkünden; wir, zumindest im Westen, müssen es einer nach-christlichen Welt bekannt machen.
Ich habe bis jetzt gesagt, dass die Charismatische Erneuerung ein Strom der Gnade ist, der für die ganze Katholische Kirche nötig ist. Ich muss hinzufügen, das ist in einigen nationalen Kirchen doppelt so sehr der Fall, da sie seit einiger Zeit eine schmerzliche Abwanderung der Gläubigen in andere charismatische Institutionen beobachten. Es ist gut bekannt, dass einer der häufigsten Gründe für einen solchen Exodus der Bedarf an einem Ausdruck des Glaubens ist, der mehr in Kontakt mit der eigenen Kultur der Menschen steht und der Spontaneität, der Freude und dem Körper mehr Raum gibt – ein Leben des Glaubens, in dem die gängige Frömmigkeit ein Mehrwert und nicht ein Ersatz für die Herrschaft Christi ist.
Pastorale und soziologische Analysen dieses Phänomens wurden gemacht und Lösungen wurden vorgeschlagen, aber es ist schwierig für Menschen, zu erkennen, dass der Heilige Geist selbst bereits für diese Nöte auf großartige Weise vorgesorgt hat. Wir können nicht weiter fortfahren, die Charismatische Erneuerung als Teil des Problems des Exodus der Katholiken zu betrachten, anstatt sie als die Lösung des Problems zu sehen. Damit dieses Gegenmittel aber wirklich wirksam ist, ist es jedoch nicht genug, dass Priester und Pastoren die Erneuerung akzeptieren und ermutigen und dabei sorgfältig draußen bleiben. Dieser Strom der Gnade muss in ihrem eigenen Leben empfangen werden. Das zu tun, dazu ruft das Beispiel des Hirten der universalen Kirche und auch die Einführung von CHARIS alle auf.
Ich möchte einige Haltungen oder Tugenden erwähnen, die am deutlichsten dazu beitragen, ein Charisma gesund und in der Funktion „für das Gemeinwohl“ zu erhalten. Die erste Tugend ist Gehorsam. Wir sprechen hier in erster Linie vom Gehorsam gegenüber der Institution, denen gegenüber, die den Dienst der Autorität ausüben. Echte Propheten und Charismatiker sind in der Geschichte der Katholischen Kirche und auch in letzter Zeit diejenigen, die akzeptiert haben, allem zu sterben, was sie für Sicherheiten hielten, die gehorchten und schwiegen, bis sie sehen konnten, dass die Institution ihre Vorschläge und Kritik annahm. Charismen ohne die Institution steuern ins Chaos; die Institution ohne Charismen steuert in die Stagnation.
Die Institution unterdrückt die Charismen nicht, sondern sichert ihnen eine Zukunft … und eine Vergangenheit. Das bedeutet, sie schützt sie davor, ein Strohfeuer zu sein und stellt ihnen die ganze Erfahrung der Kirche mit dem Heiligen Geist aus früheren Generationen zur Verfügung. Es ist ein Segen Gottes, dass die charismatische Erweckung in der Katholischen Kirche mit einem starken Impuls zur Gemeinschaft mit der Hierarchie geboren wurde, und von ihr anerkannt wurde als „eine Chance für die Kirche“ [6] und als „erstes Zeichen eines Frühlings für die Christenheit“ [7]. Dieser Gehorsam sollte für uns heute sehr viel leichter und angemessen sein, jetzt, wo die oberstes Autorität der Kirche diesen Strom der Gnade in der Charismatischen Erneuerung nicht nur lobt und ermutigt, sondern sich ihre Anliegen zu eigen gemacht hat und sie beständig der ganzen Kirche vorschlägt.
Eine andere wesentliche Tugend für den konstruktiven Gebrauch der Charismen ist Demut. Die Charismen sind Handlungen des Heiligen Geistes, Funken aus Gottes eigenem Feuer, und den Menschen anvertraut. Wie vermeiden wir, dass wir uns die Hände an diesem Feuer verbrennen? Das ist die Aufgabe der Demut. Sie erlaubt dieser Gnade Gottes, sich zu verteilen und in der Kirche und Menschheit zu verbreiten, ohne zerstreut oder verschmutzt zu werden.
Das Bild des „Stroms der Gnade“, der in eine Masse einfließt, ist offensichtlich von der Welt der Elektrizität inspiriert. Aber die Technologie der Isolierung läuft parallel zur der Technologie der Elektrizität. Je höher die Spannung und die Kraft des elektrischen Stroms sind, der durch eine Leitung fließt, desto widerstandsfähiger muss die Isolierung sein, um Kurzschlüsse zu verhindern. Die Demut ist für die Charismatische Erneuerung und das geistliche Leben im Allgemeinen die große Isolierung, die dem göttlichen Strom der Gnade erlaubt, durch eine Person zu fließen ohne abgeleitet zu werden, oder schlimmer, Funken des Stolzes oder der Rivalität zu schlagen. Jesus führte den Geist in die Welt ein, demütigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod; wir können zur Förderung der Ausbreitung des Heiligen Geistes auf dieselbe Weise beitragen, indem wir demütig und gehorsam bis zum Tod sind, dem Tod unseres „Ichs“ und des „alten Menschen“, der in uns ist.
Als geistlicher Beirat habe ich versucht, mit dieser Lehre meinen Beitrag zu einer präzisen Sicht der Charismatischen Erneuerung in der Geschichte und der gegenwärtigen Situation der Kirche anzubieten. Es werden jedoch der Moderator und die Mitglieder des internationalen Komitees sein, die das große Gewicht dieses neuen Anfangs tragen müssen. Ich versichere ihnen allen meine brüderliche Freundschaft und meine bedingungslose Zusammenarbeit, solange mir der Herr Kraft dazu gibt. Der Brief an die Hebräer empfahl den frühen Christen: „Gedenkt eurer Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben!“ (Hebr 13,7). Wir sollten dasselbe tun und uns mit Zuneigung und Dankbarkeit diejenigen in Erinnerung rufen, die das neue Pfingsten als erste erlebten und sich dafür einsetzten: Patti Mansfield, Ralph Martin, Steve Clark, Kevin und Dorothy Ranaghan und all die anderen, die später der Charismatischen Erneuerung in ICCRS, der Katholischen Fraternität und anderen Serviceorganisationen dienten.
Ich schließe mit einem prophetischen Wort, das ich verkündete, als ich das erste Mal in Gegenwart des heiligen Johannes Paul II predigte. Es ist das Wort, dass der Prophet Haggai an die Leiter und das Volk Israel richtete, als sie gerade dabei waren, den Tempel wieder aufzubauen: „Aber nun fasse Mut, Serubbabel – Spruch des HERRN – , fasse Mut, Hohepriester Jehoschua, Sohn des Jozadak, fass Mut, alles Volk des Landes – Spruch des HERRN – , und macht euch an die Arbeit! Denn ich bin bei euch – Spruch des HERRN der Heerscharen“ (Hag 2,4).
Fasst Mut, Jean-Luc und ihr Mitglieder des Komitees, fasse Mut, du Volk in der Katholisch-Charismatischen Erneuerung! Fasst Mut, ihr Brüder und Schwestern in anderen christlichen Denominationen! Macht euch an die Arbeit! Denn ich bin bei euch, Spruch des Herrn!
P. Raniero Cantalamessa, langjähriger Prediger des Päpstlichen Hauses und Geistlicher Assistent von CHARIS, hat beim CHARIS-Treffen am 8. Juni 2019 in der Päpstlichen Audienzhalle, Rom diesen wegweisenden Vortrag über das Wesen der Charismatischen Erneuerung gehalten. Übersetzung aus dem Englischen von Elisabeth Obermayer.
Anmerkungen zu Teil 2
[1] Hl. Irenäus, Gegen die Häresien, 5,6,1.
[2] Siehe Francesco Lambiasi, Lo Spirito Santo: Mistero e presenza (Der Heilige Geist – Mysterium und Gegenwart) (Bologna: Edizioni Dehoniane, 1987) S. 278ff.
[3] Lumen gentium, Nr. 12
[4] Johann A. Möhler , in „Tübinger Theologische Quartalschrift“, 5, 1923, S. 497.
[5] Leo-Joseph Suenens, Memories and Hopes (Erinnerungen und Hoffnungen) (Dublin: Veritas 1992), S. 267.
[6] Papst Paul VI, Ansprache an den Weltkongress der Katholisch-Charismatischen Erneuerung, 19. Mai 1975.
[7] Papst Johannes Paul II, L’Oservatore Romano, November 14, 1996, S. 8.