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Die Bibel, Teil 2 – wie kann ich mich mit der Bibel befassen?

Pater Rudolf Ehrl

Mit der Bibel kann ich mich auf verschiedene Weise befassen.
Hier kann ich nur auf einige wesentliche Formen hinweisen wie sie im Umgang des Einzelnen mit der Schrift sinnvoll sein können.


1. Lesen

Die Bibel ist kein einheitliches Buch, das wie ein Roman zu lesen wäre. Sie eignet sich nicht zur Bettlektüre. Sie ist, so habe ich es im Religionsunterricht vielen Kindern beizubringen versucht, eine kleine Bibliothek, bestehen aus vielen einzelnen Schriften, die jeweils als Bücher bezeichnet werden – 46 Bücher im Alten Testament (von der Schöpfung bis Jesus) und 27 Bücher im neuen Testament (von der Geburt Jesu bis zum Ausblick auf die Vollendung am Ende der Welt).

Als Student habe ich die Bibel einmal von Deckel zu Deckel gelesen. Das mag einmal ganz gut sein, ist aber nicht geeignet, einen Nutzen aus dem Umgang mit der Bibel zu ziehen. Es dient der reinen Information.

2. Lectio continua – fortlaufende Schriftlesung

Als solche bezeichnet man eigentlich die Lesungen im Gottesdienst wie sie in den Reihen der Werktage oder bei den Sonntagsevangelien oder der zweiten Lesung an Sonntagen vorgesehen sind. Allerdings wird im liturgischen Leseplan eine gezielte Auswahl getroffen, so dass viele Schriftstellen gar nicht im Gottesdienst gelesen werden.

Im privaten Vollzug ist Lectio continua die fortlaufende Lesung eines biblischen Buches in Etappen. Man liest einen kurzen Abschnitt – etwa ein Kapitel – und nimmt sich Zeit, das Gelesene zu bedenken. Der Fortschritt dabei ist langsam, aber die Texte prägen sich besser ein. Ein kurzes Gebet zur Vorbereitung und zum Abschluss der Lesung ist sinnvoll. Es erinnert uns daran, dass wir uns mit Gottes Wort befassen und Gott zu unserem Herzen sprechen will.

Für die tägliche Bibellesung gibt es verschiedene Lesepläne, oft ökumenisch erarbeitet, die Vorschläge für die jeweilige Schriftstelle des Tages machen und so durch die Heilige Schrift führen. Solche Lesepläne gibt es in jeder Buchhandlung (oft zum Jahreswechsel), im Internet oder in der Bibel-App der Einheitsübersetzung auf dem Smartphone. Man kann aber durchaus seine eigene Reihenfolge suchen und verfolgen.

3. Beten mit der Bibel

Hier sind es oft nur ein oder wenige Verse, die wir als Vorlage für unser Gebet nutzen. Die Auswahl kann aus der geistlichen Lesung, aus dem Leseplan, aus den Lesungen der Tagesliturgie oder auch zufällig gewählt sein.

Zu Beginn laden wir den Herrn zu unserem Gebet ein und bitten ihn, dass er uns den Vers / die Verse im Gebet eröffnen möge. Wir bitten um den Heiligen Geist, dass er uns hilft, die Botschaft zu verstehen, die Gott für mich in diesen Versen bereit hält. Dann lesen wir die Verse immer und immer wieder, kauen sie förmlich durch und achten auf das, was in unserem Herzen geschieht. Manchmal geschieht gar nichts – oder wir nehmen nichts wahr. Auch dann ist Gott im Gebet bei uns und trägt uns. Manchmal geschieht es aber, dass uns ein Wort anspricht, innerlich berührt oder sogar starke Regungen hervorruft, so dass wir getröstet und vielleicht mit einer neuen Gewissheit vom Gebet aufstehen. So oder so: am Ende des Gebetes können wir Gott danken, dass er mit uns ist und uns durch sein Wort führt und leitet.


Für mich ist zur Zeit die App “bible.com” eine große Hilfe. Sie bietet eine Vielfalt von Leseplänen an, die jeweils auf mehrere Tage ausgelegt sind und für jeden Tag einen Einstieg (Andacht), eine oder mehrere Bibelstellen und die Möglichkeit zu einem abschließenden Kommentar enthalten. Der jeweilige Leseplan kann von mehreren Personen zur gleichen Zeit gelesen werden. Aus den Kommentaren bekommt man immer wieder neue Anregungen. Nachteil: die Texte stehen teils nur in Englischer Sprache, nicht aber auf Deutsch zur Verfügung und unter den angebotenen Bibelübersetzungen findet sich die Einheitsübersetzung nicht.


Zum Schluss noch der Hinweis auf zwei Heilige, deren Leben sich durch ein Schriftwort, in dem sie die Stimme Gottes für sich erkannten, gründlich verändert hat.

Der Mönchsvater Antonius (Gedenktag: 17. Januar) hört als Jugendlicher im Gottesdienst das Evangelium vom reichen Jüngling (Mt 19,21 und Parallelen). Er ist verwaist und hat eine jüngere Schwester, die er versorgen muss. Er verkauft das gesamte, von den Eltern ererbte Vermögen, sorgt dafür, dass seine Schwester ein Auskommen für ihr Leben hat und zieht sich in die Thebäische Wüste in Oberägypten zurück, um als Einsiedler zu leben. Dort wird er in einem langen Leben (er soll 106 Jahre alt geworden sein) zu einem angesehenen und gefragten Berater und Lehrmeister.


Der Heilige Augustinus hört im Garten eine Kinderstimme immer wieder singen: “Tolle lege” – “nimm und lies”. Er greift den Brief des Apostels Paulus an die Römer (Röm 13,13f) auf, mit dem er sich vorher beschäftigt hatte, wird von den gelesenen Versen ins Herz getroffen und fängt ein neues Leben an.